Collage von Bijan Dawallu, aromaberlin, 2011

Collage von Bijan Dawallu, aromaberlin, 2011

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die wissenschaftliche Forschung zum Klimawandel hat eine Vielfalt an Bildern hervorgebracht. Diese reichen von farbigen Expertengrafiken, der Visualisierung von Klimamodellen, Fotografien von Extremwetterereignissen wie Überschwemmungen, Dürren und schmelzendem Eis, Symbolen wie Eisbären bis hin zu animierten und interaktiven Grafiken. Die Bilder der Wissenschaft haben nicht nur das Wissen über den Klimawandel gesteigert, sie haben auch begonnen die generelle Wahrnehmung globaler Wetterereignisse zu prägen. Die gegenwärtige Rolle von Klimabildern ist insbesondere deshalb zentral, weil der globale Klimawandel als Langzeitprozess nicht direkt erfahren werden kann.

Wenn Bilder wieder und wieder reproduziert und verbreitet werden, sind sie in der Lage die Sichtweise auf die Welt zu verändern. Es ist diese Grundannahme einer Macht der Bilder, die Realität zu beeinflussen, welche in einem eben erschienenen Buch ausführlich behandelt werden: die heutigen Bilder könnten die (negative) Blaupause für die Wirklichkeiten von Morgen werden.

Der Sammelband „Image Politics of Climate Change“ vereint ein weites disziplinäres Spektrum an Perspektiven und Fragen. Diese werden in sechzehn Fallstudien behandelt. Die Spezialgebiete der Autoren und Autorinnen sind Bildpraxis und –theorie gleichermaßen: Klimawissenschaften, Computergrafik, Kunst, Kuratieren, Kunstgeschichte, Bildwissenschaft, Kommunikations- und Kulturwissenschaften, Umweltstudien und Wissenschaftsgeschichte. Der dichte Bezug der Perspektiven aufeinander liefert tief gehende Einblicke in Fragen der Produktion und Analyse von Bildern des Klimawandels.

rhizom blog empfiehlt die Lektüre der neu erschienen, englischsprachigen Publikation „Image Politics of Climate Change. Imagination, Documentations, Visualizations, herausgegeben von Birgit Schneider und Thomas Nocke, Bielefeld: transcript Verlag 2014

Logo Flussbad

Die Spree ist eine Autobahn, und wie bei einer richtigen Autobahn müssen folglich Stau, schlechte Luft und Lärm in Kauf genommen werden. Das war das Fazit des Amtsleiters für Wasser- und Schifffahrt in Berlin, als man sich zum 12. Stadtgespräch zum Thema Wasser im Abgeordnetenhaus traf. Die Spree als Autobahn ­– eine Metapher? Ganz und gar nicht. Es ist sehr konkret gemeint, denn sie unterliegt einer ähnlichen rechtlichen Konstruktion. Sie ist eine Bundeswasserstraße und deshalb gilt auf dem Berliner Fluss das Bundeswasserstraßengesetz. Und das zugehörige Amt ist nicht nur für den Unterhalt, den Aus- und Neubau, die Messung von Wasserständen zuständig, sondern eben auch und vielleicht vor allem dafür, dass der Verkehr fließt.

Diese reduzierte Sicht auf den Fluss bedarf dringend einer Vision.
 Zwar existiert seit 2000 die EG-Wasserrahmenrichtlinie, die sich den umfassenden Schutz der Gewässer in Europa zum Ziel gesetzt. Bis zum Jahre 2015 sollen das Grundwasser sowie alle Oberflächen‐ und Küstengewässer grundsätzlich den so genannten „guten Zustand“ bzw. das „gute ökologische Potential“ erreicht haben. Aber wie verhält es sich mit der Umsetzung?

In Deutschland gibt es geschätzt 30 Flussbäder, die durch Bürgerinitiativen in den letzten Jahren ermöglicht worden sind. Ebenso gibt es kommunalpolitische Aktivitäten, zum Beispiel die Sanierung und Renaturierung der Isar vor München. In Berlin wird die Panke wieder freigelegt, ab 2015 wird dies weitestgehend umgesetzt sein.

Auch im Ausland gibt es viele Beispiele für eine innerstädtische Nutzung der Flüsse. So können die Wiener in den Sommermonaten in den Auen der Alten Donau untertauchen und Dank der Initiative des future.lab der TU Wien demnächst sogar im innerstädtischen Donaukanal. In Kopenhagen hat kürzlich das zweite Schwimmbad im Fluss eröffnet. Der Charles River in Boston ist neuerdings beschwimmbar. Wenn nicht gleich die ganze Wassersituation verändert werden kann, behilft man sich wie in Berlin bisher mit einem Schwimmponton: in Helsinki wird man einen temporär zu benutzenden Ponton bauen und in New York legt ab 2014 das Pluspool am Hudson River an.

Das Musterland ist sicherlich die Schweiz, es gibt in Bern, Basel, Zürich, Luzern oder Vevey seit über hundert Jahren eine Vielzahl an Flussbädern. Eine Übersicht findet sich hier „Die schönsten Bäder der Schweiz„.

Flussbad Unterer Letten Zürich ©Barbara Schindler

Auch in Berlin könnte es noch eine Badeanstalt mehr geben, und das ganz innerstädtisch, mit einem renaturierten Zufluss und 750 Meter Länge: Flussbad Berlin. So sieht es heute am Kupfergraben aus:

Spree am Lustgarten ©Barbara Schindler

Spree am Lustgarten ©Barbara Schindler

Und so könnte es in 2020 dort aussehen:

Flussbad 2020 ©realities:united, 2011

Flussbad Berlin könnte ein spektakuläres Bad sein, mit Schilfklärbecken für reines Badewasser, Duschen und Umkleideräumen mitten in der Stadt.

Für den Sozialwissenschaftler Harald Welzer wäre das Berliner Flussbad ein gelungenes Beispiel für eine „Wahre Geschichte(n) aus der wünschenswerten Zukunft“. Weil es um “Parameter wie Öffentlichkeit, Lebensqualität, Entschleunigung, soziale Phantasie…” geht.  Für künftige Nutzer würde es neben seiner Funktion als innerstädtisches Naherholungs- und Naturschutzgebiet beweisen, dass ein sauberer Fluss inmitten einer Vier-Millionen-Metropole eine enorme Bereicherung sein kann.

Damit die Geschichte aber wahr wird – und von der Politik nicht viel zu erwarten ist, ist für die Umsetzung ein starkes Bürgerschaftsengagement nötig. Da blinzelt man ein wenig neidisch nach New York, das ja durchaus Vorbilder einer nachhaltigen Stadtentwicklung parat hat, die auf den Einsatz vieler Bürger zurück gehen (Susanne Lehmann-Reupert, Von New York lernen).

Wilhelm von Boddien wurde kürzlich mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet, weil er mit seinem Förderverein bislang über 33 Millionen Euro für die barocke Schlossfassade aufgetrieben hat. Es wäre sicher deutlich weniger für ein kostenlos zu nutzendes Flussbad nötig, das jedoch die Museumsinsel und die gesamte Stadtmitte Berlins nicht nur in ökonomischer sondern auch in ökologischer Hinsicht extrem aufwerten und damit einen unschätzbaren Mehrwert für alle, Berliner und Touristen, schaffen würde.

Die Spree ist doch keine Autobahn! Drum sind Spenden, Engagement und Ideen willkommen.

Am 10. Dezember 2014 wurde in mehr als 30 Ländern ein Appell mit der Forderung nach weltweiten digitalen Menschenrechten veröffentlicht, den über 560 AutorInnen unterzeichnet haben – darunter fünf NobelpreisträgerInnen Elfriede Jelinek, J.M. Coetzee, Günter Grass, Orhan Pamuk und Tomas Tranströmer.

Bildschirmfoto 2013-12-11 um 11.51.56

„Writers Against Mass Surveillance“ richtet sich gegen die weltweite Überwachung und wurde organisiert von Juli Zeh, Ilija Trojanow, Eva Menasse, Janne Teller, Isabel Cole, Josef Haslinger und Priya Basil.

Hier geht es zur Webseite, wo jede/r unterzeichnen und damit das Recht einfordern kann, als BürgerIn mitzuentscheiden, in welchem Ausmaß seine / ihre Daten gesammelt, gespeichert und ausgewertet werden sollen.

Und hier ist ein Artikel, der nach der Pressekonferenz in Berlin auf The Guardian erschien.

Zeitgenössische Festivals für Theater, Kunst, Performance, Tanz reflektieren das, was uns alle beschäftigt, nämlich die Bereitschaft, Paradigmenwechsel des Selbstverständnisses als Handlungen weiter zu denken. Zur Sichtbarmachung dieser komplexen Zusammenhänge bitten die künstlerischen Leiter meist Architekten, ein entsprechendes Bild zu schaffen, damit auf einen Blick klar wird, was auf den Bühnen Thema ist.

Im letzten Herbst fanden zwei Festivals sehr ähnliche Bildmotive bzw. Architekturmodelle. Sowohl in Graz beim steirischen herbst als auch in Berlin (Foreign Affairs) wurden Häuser gebaut, deren Baumaterial recycelt war und zum überwiegenden Teil aus alten, ausrangierten Fensterrahmen inkl. Gläsern bestand, die wiederum zu Bausteinen für ein neues Gebäude wurden. Die Verantwortlichen waren Kyohei Sakaguchi (Berlin) und raumlabor (Graz).

Das mehrstöckige Grazer Haus wickelte sich um ein Baugerüst herum, in Berlin blieb man ebenerdig, rollbar und um einen alten Baum herumgebaut. In beiden konnte gewohnt werden – das steirische Camp diente für eine Woche als Marathonformat den vielen Beteiligten als Denk-, Schlaf- und Wohnmaschine, der im Berliner Häuschen campierende Künstler spielte von 11 bis 23 Uhr live Klavier, den Rest der Zeit konnte er dort schlafen.

Mobile House  Anke Schuettler

Die für Foreign Affairs errichtete fünfteilige Wohneinheit aus Sperrholz mit Geschichte ist Sinnbild für die mobile, global-aktive Gesellschaft. „Wenn wir über Architektur reden wollen, sollten wir vorher eine Camp-Situation erlebt haben – ohne Dach, ohne Wände“. Ausgehend von dieser Idee des Recyclings, für das Kyohei Sakaguchi viele Häuser von Obdachlosen (Zero Yen Houses) in Japan in den 2000-Jahren untersucht hat, entwickelte er auch in Berlin das Prinzip der Beweglichkeit weiter.

Der steirische herbst erklärte die Architektur für das Festivalzentrum so: „Bauen in einer Zeit, in der das Erdzeitalter des Holozän längst vom menschengemachten Anthropozän abgelöst ist, da die Sedimente unseres Zivilisationsmülls die der Natur um ein Vielfaches übersteigen, heißt für raumlaborberlin, mit Materialien zu bauen, die nicht neu produziert werden müssen. Mit Material, das zur Wiederverwendung gedacht ist, oder mit Dingen, die am Ende ihres Verwertungszyklus angekommen sind. Bauen für Inhalte.“

(Fast) Am Ende des Verwertungszyklus war dann auch dieser Ochse, den raumlabor für das Anthropozän-Projekt am Haus der Kulturen der Welt inszenierte und der ein perfektes Bild abgab:

Ochse_raumlabor J.Häntzschel

Zur Versinnbildlichung der These, dass der Mensch endgültig Chef über die Natur geworden ist, hatten sie einen ganzen Ochsen verwendet: weit entfernt vom hungrigen Festivalbesucher wurde er über dem Spieß gebraten, um nach einer Stunde der Verarbeitung erkaltet, püriert und im Glas verpackt beim Gast anzukommen. Der stellte das Fleisch im Glas in die Mikrowelle, die es zum endlichen Verzehr mit Messer und Gabel wieder erwärmte. Das Verhältnis vom Mensch zum Tier erscheint als Schleife der Entbildlichung. Daraus drängt sich heute die Konsequenz auf, kein Fleisch zu essen.

Das ist schon mal ein Schritt. Welche weiteren Konsequenzen aus den Festival-Bildern zum Thema Ressourcenknappheit, alternative Lebenskonzepte, Globalisierung oder ökologischer Fußabdruck resultieren, darüber könnte man eine Besucherumfrage starten. Vielleicht beim nächsten Festival. Foreign Affairs geht ja bald in die 2. Runde. Und Harald Welzer kommt hoffentlich ein 2. Mal.

Wird ein Plastikeimer mit viel Blechbesteck ordentlich geschüttelt, dann macht das Krach. Stampft man fest auf den Boden und atmet dazu schwer, ist sofort klar, dass es jemand eilig hat. Fallen dazu Schüsse und ertönt das quietschende Geräusch eines sich entleerenden Luftballons, dann ist endlich klar, dass es sich um eine Verfolgungsjagd handelt.

Radau (c)Christian Brachwitz

Radau (c)Christian Brachwitz

Das alles hört man – man kann es aber auch sehen! Und so sind alle 90 Augenpaare im ausverkauften Theater an der Parkaue geöffnet und sehen neugierig auf die gelungene Bühnenadaption eines Hörstücks von Walter Benjamin – mit falschen Hunden und echten Schauspielern, die richtig Krach und Geräusche machen, eben Radau!

„Radau um Kasperl“ hieß das Hörspiel von Benjamin aus dem Jahr 1932, das einzige, von dem noch Tonfragmente erhalten sind.  Es geht um Kasperl, der von seiner Frau Puschi im frühen, nebligen Morgen auf den Markt geschickt, um einen Fisch zu besorgen. Kasperl stößt auf den Rundfunksprecher Maulschmidt, der Kasperl, den „Freund der Kinder“, sogleich mit ins Studio mitnimmt. Als Maulschmidt kurz den Raum verlässt, nutzt dieser die Gelegenheit und schickt seinem Freund Seppel via Mikrofon eine Schimpftirade. Maulschmidt ist entsetzt, dass Kasperl das Radio derart missbraucht. Kasperl haut ab und eine wilde Verfolgungsjagd beginnt: über den Bahnhof, den Jahrmarkt, vorbei am Karussell, am Wahrsager Lipsuslapsus, an der Schießbude, bis die ganze Bagage schließlich im Zoo anlangt. Kasperl lockt seine Verfolger in den Löwenkäfig. Als er siegessicher im Taxi auf dem Weg nach Hause sitzt, passiert ein Unfall. Kasperl erwacht in seinem Bett mit gebrochenem Bein, Maulschmidt ist zufrieden: Er hat die ganze Verfolgung aufgezeichnet und ist so schließlich doch noch zu einer spektakulären Sendung gekommen. Kasperl und Puschi werden mit 1.000 Mark für ihre „Leistung“ entlohnt.

Die Berliner Inszenierung bzw. Verspielung des Hörstücks macht das Hörbare sichtbar und dies mit einfachsten Mitteln. In einer drehbaren Guckkastenbühne, über der „Auf Sendung“ steht, sieht man die Schauspieler tuten, laufen, steppen, schießen und lachen. Sie erzeugen alle Geräusche live, sprechen in einem veralteten Deutsch und spielen mehrere Rollen. In die Theateradaption integriert werden Teile des erhaltenen Tonfragments der Kölner Sendung vom September 1932.

„Radau“ macht unglaublich Spaß anzusehen – und es ist natürlich auch beeindruckend, ein so lustiges Tonmaterial von Walter Benjamin zu hören.

Kartoffelernte 2012

Auf Grund von Aktualität und angesichts der eigenen Kartoffelernte veröffentlicht rhizom blog die Petition von Prinzessinnengarten an den Berliner Senat vom 25. August 2012

Dem Prinzessinnengarten eine tragfähige Zukunft eröffnen

Die Zukunft des Prinzessinnengartens ist ungewiss. Der Liegenschaftsfonds plant einen Verkauf der stadteigenen Fläche am Moritzplatz. Das könnte das baldige Aus des Gartens bedeuten.

Freiräume öffnen Möglichkeiten für soziales Engagement und für neue Formen urbanen Lebens. Sie sind Teil des kreativen, schönen und wilden Berlins, von dem die Politik schwärmt. Der Moritzplatz steht beispielhaft für die Bedrohung dieser Freiräume, aber auch für die Chancen, die sich aus ihnen ergeben. Er könnte zum Modell für eine zukunftsorientierte Liegenschaftspolitik werden, die den Wert von Orten wie dem Prinzessinnengarten Rechnung trägt und die Menschen vor Ort frühzeitig und auf Augenhöhe einbindet. Read More

rhizom blog verdankt seinen Namen den beiden französischen Philosophen Gilles Deleuze und Felix Guattari. Ihre Vorgehensweise war es, Phänomene nicht hierarchisch sondern durch Querverweise auf andere Disziplinen und Wissensdomäne zu erklären und interne Verknüpfungen und Verbindungslinien herzustellen. Diese Methode ist der Ausgangspunkt für die Themenwahl dieses Blogs: Wo taucht etwas auf, was hat das eine mit dem anderen zu tun, warum interessiert sich jemand hier wie dort für das Gleiche oder warum nicht? „Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden, es wuchert entlang seiner eigenen oder anderen Linien weiter.“ (Gilles Deleuze, Félix Guattari: Rhizom, Berlin: Merve 1977, frz. Original Paris 1976)

BEGRIFFSWOLKE
Im Jahr 1980 erscheint ihr zweites gemeinsames Buch mit weiterführenden Gedanken „Mille Plateaux. Capitalisme et schizophrénie“. Das Cover der französischen Ausgabe ist schlicht: Verfasser und Titel. Erst die deutsche Übersetzung macht mit einem Blick auf den Buchumschlag klar, worum es ihnen geht. Die Mitverlegerin und feinsinnige Grafikerin Heidi Paris entwickelt für das Cover von Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie (Berlin: Merve 1992) eine kongeniale „Begriffswolke“, deren Vorläufer man in der konkreten Poesie vermuten kann. Eine Absprache mit den Autoren gab es nicht, das gegenseitige Vertrauen war groß genug, dass für den Inhalt schon ein passendes Umschlagmotiv gefunden werde. Unmittelbar findet das Motiv keine Fortsetzung – auch nicht bei Paris selbst –, höchstens als Zitat, beispielsweise auf dem Umschlag von Heft 3 (1996) der Mainzer Musikzeitschrift testcard.

BÖHMEWOLKE
Dieser Tage saß rhizom blog bei der Abschiedsvorlesung von Hartmut Böhme, seit 1993 Professor für Kulturwissenschaft der HU Berlin. Und da war sie wieder, die Begriffswolke.
Die Metapher des Rhizoms scheint vielen modernen Medientheoretikern geeignet, Strukturen von Hypertexten, sozialen Netzwerken oder Computernetzen zu beschreiben. So hat die von Heidi Paris 1992 erfundene Wolke zehn Jahre später als „tag cloud“ Eingang ins Internet gefunden. Und taucht eben auch hier Unter den Linden auf, weil sie als perfekte Inhaltsangabe des bald emeritierten Professors dienen kann, indem sie auf einen Blick klar stellt, welche Wissensbereiche ihn (nicht) interessiert hatten. Zur Herstellung dieser Wolke gibt es mittlerweile ein Werkzeug, den Tag-Cloud-Generator. Den hat Böhmes Kollege Christian Kassung in Vorbereitung seiner Danksagung angeworfen und ihn mit Titeln aller gehaltenen Seminare und Vorlesungen von Hartmut Böhme gefüttert. Es entstand die Böhmewolke.

SCHLAGWORTWOLKE
Auf einer Fläche zeigt die Schlagwortwolke (engl.: tag cloud) oft alphabetisch sortierte Begriffe an, wobei einzelne unterschiedlich gewichtete Wörter größer oder auf andere Weise hervorgehoben dargestellt werden. Die Wolke kann so zwei Ordnungsdimensionen (die alphabetische Sortierung und die Gewichtung) gleichzeitig darstellen und auf einen Blick erfassbar machen und entwickelte sich zur Inhalts-Erkennungshilfe im Web.

Eine gut gefüllte Schlagwortwolke ist also eine feine Sache. Dennoch verzichten Blogger zunehmend darauf sie ins Endlose wachsen zu lassen, denn das verhindert, im Netz präzise und schnell gefunden zu werden. Der Bloggende möchte bei Google ja nicht nur an oberster Stelle stehen, er will auch auf einen Blick zu erkennen geben, was auf seinem Blog verhandelt wird.

Nicht nur bei Blogs geht es um rasche Orientierungshilfe, sondern Institutionen haben ebenfalls großes Interesse, auf ihrer Netzvertretung sofort über Inhalte und Ausrichtung zu informieren. Drum findet man auch hier mehr und mehr eine schlichte Wolke.

= PORTRAIT
Hatte ein klassisches Portrait früher noch Augen, Mund und Nase, so legt die tag cloud gleich den Kortex frei und man schaut direkt ins Sprachzentrum. Oder anders gesagt: Heidi Paris hat 1992 mit der kongenialen Visualisierung eines komplexen Buchinhalts den Weg ins Innere des Buches geebnet, auch den der Wolke ins Internet. Visionär.

Berlin, Juni 2012. Die Humboldt-Box wird mit Beton aufgefüllt. rhizom blog wünscht gutes Gelingen und ist zuversichtlich, dass der Beton, der bei normalen Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen in ca. 28 Tagen die Normfestigkeit erreicht hat, nach der Sommerpause getrocknet ist. Dann kann die Fassade der Humboldt-Box abgeschlagen werden. War doch eh nur temporär.

Ungefähr die gleiche Menge Theater, die Frank Castorf im Laufe der vergangenen Jahre an Text- und Stundenmaterial aus Dostojewski-Romanen herausgesaugt und in die Theaterwelt geschickt hat, packt Matthias Lilienthal aka HAU jetzt in eine einzige Aufführung: 24 Stunden dauert die Inszenierung des Romans „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace.

Doch 24 Stunden sind kein Tag. Die Struktur eines Tages wird zerdehnt. Die Dramaturgie Dostojewskis weicht dem Dauerzustand bei Foster Wallace.

 Aus dem 1.545-seitigen Roman (inklusive Anmerkungen und Errata) haben die Dramaturginnen Kathrin Veser und Johanna Höhmann einige Schnipsel herausgeschnitten und diese dreizehn verschiedenen Regisseuren, Schauspielern, Videokünstlern, Choreografen, Performancegruppen, Musiker u. a. zur Bearbeitung überlassen. Die raumlabor-Experten haben acht moderne Ruinen des alten West-Berlin ausgewählt und zu Spielstätten verwandelt. Für das Dazwischen wurden historische Doppeldeckerbusse der BVG rekrutiert. Vollbesetzt fahren sie vierundzwanzig Stunden (von 9.30 bis 9.30 Uhr) durch die Stadt an eben jene Orte einer utopischen Vergangenheit. Der Tennisverein, die Spionageanlage, die Großküche, der Umlauftank, das Kulturzentrum, der Saloon, das Finanzamt. Als letztes landet man wieder im Theater, im HAU1. Hier wird nicht mehr gespielt, hier wird nur mehr vorgelesen. Nach 21 Stunden Aufführung  die ultimative Steigerung des Theatralischen. Hier platzt das Hirn.

Diese Möglichkeit, den Überroman auf die Bühne zu bringen (für den zwischenrein per Skype zugeschalteten „Infinite Jest“-Übersetzer Ulrich Blumbach die einzig adäquate), wird die neue Referenz eines entgrenzten Theaters werden. Sie lässt den Zuschauer körperlich zertrümmert zurück. Aber mit dem sicheren Gefühl, einer Klassenfahrt der S-Klasse beigewohnt zu sein, dem Rausch einer durch das Theater entgrenzten Wirklichkeitserfahrung. Eine Skizze für ein zukünftiges DFW-Festival.